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Der Charme Syriens, 28.02.2012

Charme Syriens Es gibt sehr viele unterschiedliche Sichtweisen der Vorgänge in Syrien. Das liegt sicher auch daran, dass die syrische Gesellschaft sehr zerissen ist zwischen u.a. einer konservativen (zum Teil dörflichen) muslimischen Schicht und einer städtischen fast ist man versucht zu sagen säkularen oder multikulturellen Schicht.

Das Beste, was man sagen kann, ist, dass sehr viele unterschiedliche Sichtweisen ihre Berechtigung haben - wenn sie sich nicht als absolut und alleingültig darstellen.

Hier also eine Sicht, die die Stabilität Syriens begründet.

Als vor einem Jahr die Auseinandersetzungen um die Zukunft Syriens begannen, fragten sich viele, wie lange das „Assad-Regime“ wohl Bestand haben würde. Die Schätzungen reichten von Wochen bis Monaten.

Heute, nach fast einem Jahr und trotz der vereinten Anstrengungen des Westens, trotz Sanktionen und eines unglaublichen Medienkrieges zeigt sich das syrische System zumindest bis heute im Kern noch immer intakt und stabil.

Um das zu verstehen reicht die simple Erklärung: „Die Unterdrückung ist einfach zu brutal“ nicht aus. Ein differenzierter Blick auf das komplizierte Geflecht der syrischen Gesellschaft zeigt: es gibt einen stabilen städtischen Kern der Gesellschaft, der von Alawiten, Christen und mehr oder weniger wohlhabenden und gebildeten Sunniten geformt wird.

Dieser städtische Kern der Gesellschaft hatte noch nie allzuviel Grund zur Klage.

Es ist wie hierzulande. Ein Lehrer, eine Ärztin, IT-Berater oder Architekt können trotz aller berechtigten Klagen ihr Leben in unserer Gesellschaft alles in allem – immer noch –zufrieden gestalten und müssen vorerst nicht für den Sturz des Systems eintreten. Warum hätte es in Syrien anders sein sollen.

Bei aller Korruption und Vetternwirtschaft: für breite Schichten der Gesellschaft war das Leben zufriedenstellend. Und da man nicht rebellieren wollte, war man auch keiner Repression durch das System ausgesetzt, die über die üblichen Unhöflichkeiten, Brutalitäten und Missachtungen in Ländern mit ungenügend ausgeformten staatlichen Strukturen hinausgingen und die in der Region verbreitet sind. Das war der Preis, den man für Stabilität und Sicherheit bezahlen konnte.

Und so wie es bei uns ausgegrenzte Teile der Bevölkerung gibt, die vielleicht einen anderen Blick auf den Staat und seine Strukturen haben als ein Lehrer oder IT-Berater, ist es auch in Syrien. Teile der Gesellschaft, die sich selbst abgrenzen, weil sie den säkularen Charakter des Staates nicht akzeptieren wollen und Assad nicht bekämpfen, weil er Diktator ist, sondern weil er „Ketzer“ ist, oder die ausgegrenzt werden und die wirtschaftlichen „Modernisierungen“ zum Opfer fallen. Oder die eine prekäre Stellung im Staat haben wie die Kurden.

Wenn man von Besuchern Syriens hört, die von der Stabilität und Ruhe berichten und von der Unterstützung für Assad, sind es im Wesentlichen Berichte über die syrische Mainstream-Gesellschaft.

Diese Gesellschaft ist nicht so homogen, wie es scheinen mag. Aber Konflikte verlaufen im Kern dieser städtischen Gesellschaft nicht anhand von ethnischen oder religösen Fragen. Das Spektrum dieser Gesellschaft reicht von Gegnern des Systems bis zu Anhängern Assads. Alle sind sich wohl darin einig, dass Syrien sich transformieren muss. Und bei allen Unterschieden scheint klar, dass eine vielleicht harte Landung angestrebt wird, aber keine Explosion und kein Bürgerkrieg

Der Charme Syriens, dem sich wohl niemand entziehen kann, der sich länger im Land aufhielt, beruht gerade auf dem Erlebnis dieser Mainstream-Gesellschaft. Wie weit diese Gesellschaft reicht, ob sie 30, 50 oder 70 Prozent der Menschen in Syrien umfasst, ob es mehr werden mit der Krise oder weniger, kann niemand ernsthaft sagen.

Mit dem Ergebnis der Abstimmung über den Verfassungsentwurf mit fast 60% Wahlbeteiligung – und das war wichtiger als die Frage: Ja oder Nein zum Verfassungsentwurf – zeigt sich, dass die Befürworter von Assad und eines Übergangs in eine demokratischere Gesellschaft deutlich in der Mehrheit sind gegenüber denen, die einen Sturz des Systems um jeden Preis wollen.

Syrien wird nicht plötzlich zu einem demokratischen Musterstaat werden. Wer aber glaubt, es sei ein Fortschritt, die syrische säkular orientierte Gesellschaft aufzulösen und mit oder ohne Bürgerkrieg zu der Enge eines islamisch geprägten Staates überzugehen täuscht sich bitterlich.

Zur Erläuterung:

Eine Sicht der syrischen Gesellschaft

Das Bild soll das eben gesagte etwas verdeutlichen. Es ist verkürzt, vereinfacht und schematisch , zeigt aber ein bisschen, dass Syrien nicht ganz einfach zu verstehen ist.

Zur Erklärung des Bildes:

Die Pfeile stellen die Interventionen von außen – mit Medien, Waffen und Kämpfern – dar.

Der Innere Kreis stellt die Mainstream-Gesellschaft dar, die Menschen aller Religionen und Ethnien umfasst und sich durch Bildung, Arbeit - nicht unbedingt durch Wohlstand – definiert. (Ich lasse mich hier gern verbessern)

Der äußere Kreis stellt die ausgegrenzten oder sich ausgrenzenden Teile der Gesellschaft dar: Konservative Sunniten vor allem in ländlichen Gebieten, Kurden, Stämme und Gruppen mit anderen Loyalitäten. Zu den ausgegenzen Teilen der Gesellschaft gehören vor allem auch junge Leute ohne Perspektive – die aber sehr wohl gerade auch konservativ sunnitisch geprägt sein können.

Dass manche Städte genau auf der Grenze zwischen Innen und Außen liegen ist Absicht und soll zum ausdruck bringen, dass in vielen Städten die Grenze zwischen Mainstream und Peripherie innerhalb der Städte verläuft.

Auch Christen und Alawiten können hierzu gehören, auch wenn das vermutlich sehr wenige sind.

Der Brennpunkt ist Homs – hier kommt alles zusammen: Ethnische Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Alawiten, perspektivlose Jugendliche, ausländische Kämpfer.



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